Die Liebfrauenkirche ist mit dem Naumburger Dom das bedeutendste Bauwerk Mitteldeutschlands aus dem 13. Jahrhundert, ein architektonisches Meisterwerk der späten Romanik. Die meisten Arnstädter wissen das. Leider spiegelt sich dieses Wissen nicht im Umgang der Kirchgemeinde mit diesem Gebäude wieder. Denn nach den bereits 2006 abgeschlossen Sanierungsarbeiten ist die Kirche von Oktober bis April geschlossen – ganze sieben Monate im Jahr! Die Kirchgemeinde argumentiert mit der winterlichen Kälte und dem personellen Notstand an ehrenamtlichen Mitglieder. Daß dies Ausflüchte sind, zeigt nicht nur die ganzjährige Öffnung der Oberkirche durch den Oberkirchenverein, sondern auch das regelmäßige Scheitern von Initiativen, ein Wärmestübchen zu bauen und die Kirche mithilfe von ABM-Maßnahmen offenzuhalten.
Doch zuerst zur Kirche selbst:
Seit dem Jahr 1985 ernennt der Europäische Rat die Kulturhauptstädte Europas, seit 1987 zusätzlich die „Europäischen Kulturrouten“. Deren erste war der Jakobsweg, im Jahr 2007 kam die Transromanica hinzu. Fünf europäische Regionen (Sachsen-Anhalt,Thüringen, die Provinz Modena in Italien, Kärnten in Österreich, sowie Slowenien) fanden sich zusammen um den Kulturtourismus auf Basis des Europäischen Erbes der Romanik zu fördern. Von 950 bis 1250 entwickelten diese Landstriche eine gemeinsame Identität, die maßgeblich auf die Ottonen zurück geht. Arnstadt spielte für deren Herrschaftsgebiet eine wichtige Rolle, 954 fand hier – in einem Vorgängerbau der heutigen Liebfrauenkirche – ein Reichstag unter Otto I. statt.
Die Liebfrauenkirche ist neben der Wartburg, St. Peter und Paul in Erfurt und der Klosterruine Paulinzella die wichtigste Station der Transromanica in Thüringen. Der interessierte Reisende erfährt auf der Internetseite www.transromanica.de von einer ganzjährigen täglichen Öffnung, so wie man es bei der Bedeutung der Kirche auch erwarten würde. Doch der Besucher läuft einer Fehlinformation auf: Den ganzen Winter von Oktober bis Mai – somit auch während der Adventszeit, den Bachwochen bis über Ostern – ist die Kirche geschlossen.
Die Mitglieder des Oberkirchenvereins können ein Lied von enttäuschten und verärgerten Besuchern singen. Während die Liebfrauenkirche in den Winterschlaf versetzt wurde, trösten sich Wochenende für Wochenende zahlreiche Besucher mit der Besichtigung der ehemaligen Franziskanerkirche, denn diese halten die Mitglieder des Vereins auch im Winter Samstag und Sonntag offen. Es waren über Zweitausend, die seit Oktober kamen – sie alle hätten auch gerne die Liebfrauenkirche aufgesucht.
Die Liebfrauenkirche ist heute komplett saniert und mit neuem Geläut versehen, für das die Arnstädter Bürger in einer einmaligen Aktion 20.000 Euro gespendet haben. Sie beherbergt die dritte funktionsfähige Orgel der Stadt und ein Inneres, das in frischem Glanz erstrahlt und von allen Arnstädter Kirchen zweifelsfrei die erhabenste Ausstrahlung hat. Daß die Kirche sieben Monate geschlossen ist, ist vom Standpunkt der touristischen Entwicklung eine krasse Fehlentscheidung.
Denn wirtschaftliche (Innenstadt-)Entwicklung und touristische Bedeutung wird es für Arnstadt nur geben, wenn man sich der „weichen“ Standortfaktoren besinnt und diese professionell vermarktet. Bislang ist Arnstadt – obwohl Bach-Stadt – in den westlichen Bundesländern und international weitgehend unbekannt – so unbekannt, daß es in einem Merian-Heft über Thüringen in einem Artikel über „Bach und seine Städte“ noch nicht einmal Erwähnung findet! Die Transromanica böte eine weitere Chance für internationales Renommee – so wie es die (sachsen-anhaltinische) Konkurrenz mit der dortigen „Straße der Romanik“ den Thüringern vormacht.
Ist es unter dem Gesichtspunkt der touristischen Entwicklung der Stadt für Kirche und Stadtmarketing nicht zu verstehen, daß (Teilzeit-)Arbeitsplätze für ganzjährig offene Kirchen eine absolute Notwendigkeit sind? Frau Martina Lang, die Chefin der Agentur für Arbeit, hat schon 2008 beiden Seiten Vorschläge für eine Anlauffinanzierung gemacht. In der Liebfrauenkirche könnte weiterhin ein beheizter, beispielsweise verglaster Eingangsbereich geschaffen werden, der dann auch als Shop für den Verkauf von Büchern, Postkarten und Broschüren benutzt werden könnte. Wenn sich alle zusammensetzten, Kirche, Stadtmarketing, Arbeitsamt und die Vereine, dann wäre auch eine ganzjährige Öffnung der Liebfrauenkirche sicher darstellbar.